Die Balzhütte

Tief in den ausgedehnten Wäldern der hinteren Böhmischen Schweiz liegt unweit einer Lichtung in etwa 400 m Höhe unter den Wänden des Tannigts die Balzhütte (Na Tokani oder Tokan). Die aus wenigen Blockhütten bestehende, idyllisch gelegene Häusergruppe liegt von allen umliegenden Ortschaften mindestens eine Gehstunde entfernt. Seit 1945 hat sie eine äußerst wechselvolle Geschichte erlebt und nur noch während kürzerer Perioden wurden Wanderer hier gastlich empfangen.

Die Lage der Balzhütte (1937)

Nur wenige Eingeweihte kennen den kleinen, sechs Meter über dem Boden aus dem Fels geschlagenen Wachraum mit Tür- und Fensterloch am Fuße des Tannicht, der als die Keimzelle des nachmaligen Balzhüttenkomplexes zu betrachten ist. Dieses in die steile Felswand eingehauene kleine Gemach, in dem einst die Forstknechte vor wilden Tieren und üblen Gesellen sicher sein konnten mißt etwa 2 1/2 m im Geviert und ist mit Tür und Fensterloch versehenen. Da es ca. 6 m über dem Erdboden gelegen ist, kann es nur mit (Strick-)Leitern erklommen werden.

Seit 1614 war die Herrschaft Böhmisch- Kamnitz, zu der auch die Wälder um die Balzhütte gehörten, im Besitz der Fürsten Kinsky Die Jagd auf Waldvögel und insbesondere auf balzende Auerhähne wurde, wie die seit 1673 im Kamnitzer Schloßarchiv aufbewahrten Abschußlisten zeigen, seit Jahrhunderten gepflegt. Man hielt damals aber jagdbares Wild nicht nur in freier Wildbahn, sondern auch in Gattern bzw. „Tiergärten”. An solche erinnern in Nähe der Balzhütte noch die Flurnamen Tiergartenhau und Tiergartenloch sowie in Felswänden als Träger des Wildzaunes sichtbare Fugen. In seinem „Führer durch die Böhmische Schweiz” berichtet Ferdinand Nahlik 1864 über ein Wachhaus für die Jäger der Fürsten Kinsky an der Stelle der heutigen Balzhütte, welches als „Seit undenklichen Zeiten” bestehend genannt wird.

Der Name „Balz”-hütte verrät, daß hier vor allem Jagd auf Federwild gemacht wurde, eine Jagdart, die seit 1670 in den Wildabschußlisten der Herrschaft Böhmisch-Kamnitz nachzuweisen ist. Zu der einfachen Jagdhütte gesellten sich im Laufe der Jahrhunderte ein „Herrenhaus” und verschiedene Nebengebäude, um den Herrschaften das Leben bei der Auerhahnjagd, also während weniger Tage im April, möglichst angenehm zu machen. Es war bekannt, daß Persönlichkeiten des jagdbegeisterten Wiener Hochadels an diesen berühmten Kinsky-Jagden teilnahmen.

Die Balzhütte (um 1910)

Nachdem 1904 ein weitgereister und welterfahrener Kinsky-Sproß den Besitz übernommen hatte, wurden die bestehenden Gebäude modernisiert, wobei 1905 das Herrenhaus mit seiner berühmten Sammlung von Jagdtrophäen aus dem Dittersbacher Revierin aufgrund eines Installationsfehlers in Flammen aufging. Es wurde jedoch sofort durch den Erbauer der Teichstätter Kirche und Oberkreibitzer Talsperre, Baumeister Aug. Hermann, und seine Zimmerleute in alpenländischer Holzbauweise mit Holzschindeln und steirischen Butzenkachelöfen wieder aufgebaut. Um die Balzhütte, der vorher das fehlende Wasser vom 400 m entfernten Kompborn mit Schubkarren und später dazu noch aus Rennersdorf mit Gespann zugefahren werden mußte, mit fließendem Wasser zu versehen, wurde 1904 vom Suppge-Berg her eine 2 km lange, aber wasserarme Wasserleitung gelegt.

Als die Balzhütte aber auch im Sommer und Herbst bevorzugter Aufenthaltsort der Familie Kinsky wurde, immer mehr Gäste zu beherbergen waren und sich zunehmender Ausflüglerbetrieb und fürstliches Privatleben in die Quere kamen, wurde 1931 an Stelle des alten Hegerhauses mit Wirtschaft ein Gästehaus errichtet und abseits davon, mit gesondertem öffentlichem Zugang, ein neues, gemütliches Heger- und Einkehrhaus gebaut. Eine Quelle in der Nähe, die man in 107 m Tiefe erbohrt hatte, löste endgültiig die heikle Frage der Wasserversorgung. Sogar ein kleines, aus dem Felsen gehauenes Schwimmbecken gegenüber dem Herrenhause wurde geschaffen.

Die Balzhütte (vor 1921)

Insgesamt bestanden damals 6 Gebäude: Jagdschloß der Fürsten Kinsky, Gästehaus, Dienerschaftsgebäude, Wirtschaftsgebäude, Stallung bzw. später Garage sowie Forsthaus mit Schankwirtschaft.
Im Jahre 1905 wurden in der Umgebung Gemsen und 1921 auch Muffelwild ausgesetzt. Im Sommer 1938 stattete Lord Walter Runciman, der als Beobachter der englischen Regierung in die sudetendeutschen Gebiete der CSR gesandt worden war, dem Fürsten Ulrich Ferdinand Kinsky in der Balzhütte einen Besuch ab.

Die zwei Gebäude der fürstlichen Familie waren mit einem Zaun umgeben. Vor der Gaststätte befand sich eine 200-jährige Riesentanne von 40 m Höhe.

Die Gastwirtschaft an der Balzhütte (vor 1945)

Die Balzhütte, die nach allen Richtungen mindestens eine Gehstunde von bewohnten Orten entfernt liegt, ist von hohem Mischwald umgeben. Bekannte Baumriesen wie die Fürstentanne oder die Schlangenfichte standen und stehen in ihrer Nähe, und von hier stammte auch die Kiefer mit 410 Jahresringen, die für eine Ausstellung in Reichenberg gefällt wurde. Üppige Heidel- und Preiselbeerteppiche bedecken den Sandboden der felsigen und zerklüfteten Umgebung.

Den Jagdsitten alter Zeiten entsprechend, bestand um die Balzhütte einst ein Tiergarten, in dem jagdbares Wild zu bequemerem Abschuß gehalten wurde. Flurbezeichnungen wie „Tiergartenhau” oder „Tiergartenloch” erinnern daran ebenso wie in den Fels gehauene Fugen und Löcher für den Wildzaun. Aber es wurde nicht nur Wild geschossen. Seit 1875 war die Balzhütte Ausgangspunkt verschiedener Hege- und Pflegemaßnahrnen im Kamnitzer Revier. Tiere aus Ungarn sollten den Hirschbestand auffrischen, Gemsen und Mufflons wurden ausgesetzt, Birkwild- und Auerhahn- bestand erhöhten sich so, daß z.B. zwischen 1890 und 1900 jährlich 16 Auerhähne erlegt werden konnten.

Die Umgebung der Balzhütte birgt wohl noch manche geschichtlichen Geheimnisse. Da ist die merkwürdige Wüstung Budersdorf (Pudersdorf, nahe dem Rudolfstein), die schon in den Errichtungsbüchern im Jahre 1457 genannt wird. Ein Dorf mit der Lebensgrundlage Ackerbau ist zwischen Balzhütte und Rudolfstein kaum denkbar. Als Zufluchtsstätte in Kriegszeiten kann es wegen der „Budersdorfer Straße” nicht gedient haben. So bleiben denn die Bausteine, Kacheln und Ziegel, die man im „Budersdorfer Wald” und auf dem Flurstück „Kirchhof” gefunden haben will, ein Rätsel.

Die nähere Umgebung der Balzhütte (1929)

Rätselhaft auch der „Lagergrund” und das „Hohe Lager”, letzterer ein Felsklotz von 1 ha Oberfläche, der nur einen einzigen, über eine Schlucht führenden Zugang hat und in dessen Nähe die Jahreszahl 1508 in den Fels gemeißelt ist. Klar dagegen liegen die Verhältnisse bei der „Eustachiushütte”, die man von der Balzhütte über die „Enge Stiege” erreicht. In der Nähe der Hütte heißt eine Felsenkluft „Kriminal”. Wenn früher die Jagdknechte spät abends und im Morgengrauen den Auerhahn verhören mußten, um seinen Standort für die fürstlichen Jagdgäste zu erkunden, übernachteten sie oft in diesem Felsloch, das sie wegen seiner Kälte und Feuchtigkeit als Verlies empfanden. Um das Übernachten mitten im Walde bequemer zu machen, ließ die Herrschaft kurz vor der Jahrhundertwende eine Hütte bauen, die nach einer nahen Erhebung benannt wurde. Es ist nicht ohne Reiz, auch die Gegenmaßnahme der Auerhähne zu erfahren: Sie verlegten nach dem Bau der Eustachiushütte ihr Balzrevier in andere Gegenden.

Unter der engen Stiege befindet sich links eine Tafel mit dem Buchstaben W und Datum für die hier 1849 letzmalig in der Böhmischen Schweiz verweilende Fürstin Wilhelmine Kinsky.

Das von der Natur für Schleichwege und Verstecke maßgeschneiderte Gebiet um die Balzhütte, die „Dittersbacher Heide”, war auch eine der letzten Zufluchtstätten Friedemann Bachs, der an den Maßstäben scheiterte, die sein Vater der Musik gesetzt hatte. Schließlich als Aussteiger mit Zigeunern unterwegs, huldigte er zwischen Böhmerstraße und Kirnischt einem ungebundenen Leben. So wenigstens sieht es der Schriftsteller Brachvogel, der in seinem Roman Friedemann Bach, dem „mißratenen” Sohn des Thomaskantors ein Denkmal setzte.

Auch heute ist die Balzhütte ein zentraler Kreuzungspunkt, von dem aus herrliche Wanderwege den Ostteil der Böhmischen Schweiz nach allen Seiten erschließen, ihre herrlichen Gründe und bizarren Felsformen; Wege, auf denen im Herbst der urige Brunftschrei der Hirsche dem nächtlichen Wanderer Schauer über den Rücken jagen konnte. Vor 1945 war dieses Ausflugsziel jedoch auch eine Stätte gemütlicher Gastlichkeit und froher, von Waldluft und Tannenrauschen beschwingter Geselligkeit. Darin hatte die Balzhütte freilich Tradition. Schon 1864 schrieb F.Nahlik in seinem Wanderführer:

„Oft entwickeln sich auf der Balzhütte beim Klange der Gläser und beim Gesange unter den Besuchern angenehme Unterhaltungen. So fand ich einmal an einem schönen Frühlingstage fremde Offiziere und fidele Studenten mit einheimischen Bauernmädchen, ein anderes Mal junge Pechsiederburschen mit vornehmen Damen in Seidenkleidern und Glaceeleder- bespannten Händen bei einer Gitarre und Zither tanzen. Daß es auch der umgebende Wald ist, der viel dazu beiträgt, die Fröhlichkeit zu vergrößern, ist begreiflich. Jeder scheint sich hier glücklicher zu fühlen als anderswo, jeder seinen Kummer und seine Sorgen vergessen zu haben !”

Dies alles endete 1945 mit der Vertreibung der einheimischen Bevölkerung. Die Balzhütte wurde zunächst Unterkunft bewaffneter tschechischer Grenztruppen. Später dienten die ehemaligen Jagdhäuser als Betriebserholungsheim und waren auch für die Öffentlichkeit wieder zugänglich. Mancher wird sich noch an die Balzhüttenwirtin Lisa mit ihrem unverkennbaren Dialekt des Leipziger Landes erinnern.

Die Balzhütte heute (1992)

Um 1990 wechselten einige der Blöckhäuser (zumindest wenn man der Volksmeinung Glauben schenkt, unter teilweise äußerst dubiosen Umständen) den Besitzer. Wenig später war dann auch die Gastwirtschaft wieder geschlossen.



Quellen:

A.Gampe, Kreibitztal und Teichstatt, Böblingen 1985 mit Änderungen und Ergänzungen aus:

1) W.Pfeifer, Wanderungen im Niederland, Böblingen 1982
2) A.Herr, Heimatkreis Tetschen-Bodenbach, Nördlingen 1993
3) Reisehandbuch Elbsandsteingebirge, Berlin 1990, S.626
4) K.Lohwasser in: Heimatruf - Nordböhmischer Heimatbote 5(1953), Oktober


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letzte Aktualisierung am 18.4.99