Hinterdittersbach und die Kirnitzschschänke

Nur reichlich 500 Meter bachaufwärts von der Stelle, an der die Kirnitzsch endgültig nach Sachsen hineinfließt, nachdem sie zuvor einige Kilometer den Grenzverlauf markierte, befand sich am böhmischen Ufer bis 1945 die Ansiedlung Hinterdittersbach (tsch. Zadni Jetrichovice), ein Knotenpunkt des Tourismus in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz. Es trafen hier die Touristenwege von Dittersbach (Jetrichovice), Hohenleipa (Vysoka Lipa), Rainwiese (Mezni Louka), der Unteren Schleuse und dem Zeughause, von Hinterhermsdorf, aus dem Khaatale (Kyjovske udoli) und von der Oberen Schleuse her zusammen.

Karte von Hinterdittersbach

Die Lage von Hinterdittersbach (1910)

Auf einer alten Brücke, die schon auf der Öderschen Karte von Kursachsen (Kartenforum >> Karten vor 1850) als "Bruck" eingetragen ist (die Kartenaufnahme geschah in dieser Gegend um 1592), überschritt hier die mittelalterliche Böhmerstraße die Kirnitzsch. Am bekanntesten war in dieser Häusergruppe die Kirnitzschschänke, so daß die ganze Ansiedlung umgangssprachlich oft nach ihr bezeichnet wurde. Der Topograf Schaller (S.215) erwähnt 1787 Hinterdittersbach noch nicht. Auch auf dem 1782 aufgenommenen Meilenblatt (Karteireiter Bestand >> Meilenblätter >> Berliner Exemplar B351) der Hinterhermsdorfer Gegend findet man die Kirnitzschschänke nicht, wogegen das nach der Aufnahme laufend aktualisierte Dresdener Exemplar D416 diese verzeichnet. Erbaut wurde die Kirnitzschänke (Nr. 2) im Jahr 1793. Eine Karte mit einem Teil der Herrschaft Kamnitz aus dem Jahr 1794 zeigt die Kirnitzschschänke erstmalig. Es folgten 1796 das Kinskysche Hegerhaus (Nr. 1) und 1798 ein weiteres Haus (Nr. 3) an der Stelle, an der später das Gasthaus "Waldfrieden" gebaut wurde, nachdem das ursprüngliche Haus 1903 abgebrannt war. 1802 wurde dann das Clary'sche Jagdhaus (Nr. 106) erbaut.

Götzinger (S.319) erwähnt 1804 und 1812 in seiner Beschreibung der Sächsischen Schweiz dann den Gasthof: "...die Straße, welche sich von Hinterhermsdorf aus nach Dittersbach und Hirnischkretzschen in Böhmen unter diesem Felsen vorbeizieht, und der böhmische Gasthof, welcher gleich darneben an der steinernen Brücke steht, erinnern daran, daß man in keiner öden Wüste ist. ..."

Anfänglich wurde die gesamte Häusergruppe auch "Kirnschbrücke" genannt, vermutlich existierten hier schon eine Zeit lang zeitweilige Unterkünfte für Forstpersonal und Waldarbeiter. Franz Aloys Mussik erwähnt 1820 in seiner Beschreibung des Marktes Schönlinde "Hinterdittersbach, welcher Ort aus einem böhmischen Wirthshause und 2 Jägerwohnungen besteht". Der Topograf Sommer (S.259) nennt 1833 vier Häuser (davon ein Wirtshaus, zwei Forsthäuser, 24 Einwohner). Schiffner erwähnt 1835 ebenfalls 4 Häuser, davon im einzelnen das Binsdofer (Clarysche) Forsthaus, das Kamnitzer (Kinskysche) Forsthaus und einen Gasthof für Fuhrleute. Die Straße wird von ihm 1835 als "oft...kaum gangbar, höchst vernachlässigt..." bezeichnet. Um 1900 existierten bereits 7 Häuser.

Die Kirnitzschschänke um 1880

Die Kirnitzschschänke um 1880 von NW, rechts im Hintergrund das Hegerhaus

Im ausgehenden 19.Jh. entwickelte sich allmählich der Fremdenverkehr, schon 1851 wurde im Elbtal die Bahnlinie gebaut. 1887/88 erfolgte der Ausbau des ehemaligen mittelalterlichen Handelsweges "Böhmerstraße" als Bezirksstraße. 1893 wurde ein "Executiv-Comitee" zum Bau und Betrieb einer Straßenbahn von Bad Schandau bis zur Kirnitzschschänke gegründet, ausgeführt wurden diese Pläne später jedoch nur bis zum Lichtenhainer Wasserfall. 1891/92 wurde die Kirnitzschschänke, die hinter einer Gruppe kleinwüchsiger, heute noch stehender Kastanien unweit der Kirnitzsch stand, von einem einstöckigen Fachwerkbau in ein stolzes zweistöckiges Umgebindehaus umgebaut und fortan als Hotel bewirtschaftet.

Kirnitzschänke früher space Kirnitzschänke heute

Die Kirnitzschschänke, links kurz nach 1918, rechts heute (von NW)

Lageplan der Häuser von Hinterdittersbach

Lageplan der Häuser von Hinterdittersbach

Nur wenige dutzend Meter weiter, ebenfalls links des Fahrweges, stand das Gasthaus und Hotel "Zum Hirsch". Etwas weiter östlich hangaufwärts am Waldrand stand das Gasthaus "Zum Hegerhaus". Eine Auskunftsstelle des Gebirgsvereines war 1896 in der Kirnitzschschänke zu finden, 1912 dann im Gasthaus "Zum Hirsch". Im Jahr 1931 wird neben den Gasthäusern sogar ein Kindererholungsheim der Stadt Warnsdorf erwähnt (Nr. 4), das sich etwas weiter südlich an der Böhmerstraße befand.

Eine literarische Erwähnung von Hinterdittersbach finden wir u.a. in Anton A. Paudlers "Ein deutsches Buch aus Böhmen"(dritter Band, Leipa 1895) und in Otto Eduard Schmidts "Kursächsischen Streifzügen" (sechster Band, Dresden 1928)

Hotel Zum Hirsch früher space Hotel Zum Hirsch heute

Das Hotel zum Hirsch (Nr. 5), links um 1910 (von SW), rechts heute (von NW)

Das Hegerhaus früher space Das Hegerhaus heute

Das Gasthaus Hegerhaus (Nr. 1), links um 1904, rechts heute (von NW)

Gasthaus Waldfrieden früher space Gasthaus Waldfrieden heute

Das Restaurant Waldfrieden (Nr. 3), links um 1912 (von den Rabensteinen aus), rechts heute (vom Fahrweg)

Bemerkenswert ist, das die wenigen Häuser zu zwei verschiedenen Gemeinden gehörten. Die Häuser westlich der Böhmerstraße gehörten unter der Bezeichnung "Kirnscht" zur Gemeinde Hohenleipa (Häuser Nr. 106 und 107), neben den Häusern befand sich ein Wildgehege; die Häuser östlich der Straße (Nr. 1 bis 6) unter der Bezeichnung "Hinterdittersbach" zur Gemeinde Dittersbach. Dies liegt daran, das die Böhmerstraße schon seit Jahrhunderten die Grenze zwischen den Herrschaften Kamnitz und Binsdorf bildete. Die Volkszählung von 1921 verzeichnet insgesamt 24 Einwohner in 7 Häusern.

Hinterdittersbach von den Rabensteinen aus

Hinterdittersbach von den Rabensteinen (NO) aus gesehen (um 1920), links das Hegerhaus, unten die Kirnitzschschänke, darüber das Hotel zum Hirsch, rechts daneben das Gasthaus Waldfrieden

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurden die Bewohner aus Hinterdittersbach vertrieben und die Häuser teilweise dem Erdboden gleichgemacht. Bis in die Mitte der fünfziger Jahre wurde das Gelände von Hinterdittersbach nach Augenzeugenberichten noch als Kinderferienlager genutzt. 1956 existierten noch das Hegerhaus und das Gasthaus zum Hirsch, die Kirnitzschschänke war bereits ein Trümmerhaufen. Vermutlich nach dem Aufstand in Ungarn 1956 wurde jedoch das Grenzgebiet auf tschechoslowakischer Seite massiv abgeriegelt und auch die noch übriggebliebenen Häuser dem Erdboden gleichgemacht.

Hinterdittersbach 1953

Hinterdittersbach im Jahre 1953 von der sächsischen Seite aus, links hinter dem Schlagbaum die Kirnitzschschänke (schon ohne Dach ?), rechts das Gasthaus "Zum Hirsch", links unterhalb davon am Bachufer die Reste des Claryschen Forsthauses (Foto: Archiv K.Lamm)

Einzig die Kirnitzschbrücke ist heute immer noch vorhanden und wurde mittlerweile völlig überholt, seit etwa 1990 war sie zuvor mit großen Betonblöcken gegen den Autoschmuggel abgesperrt worden. Bei genauer Suche lassen sich im hohen Gras jedoch die Grundmauern der einst viel besuchten Gasthäuser noch finden.

Hinterdittersbach heute

Hinterdittersbach heute von den Rabensteinen aus gesehen (Juli 2001), die Häuser existieren nicht mehr, der Großteil der einst bewirtschafteten Wiesenflächen auf der böhmischen Seite der Kirnitzsch ist inzwischen mit jungem Wald überwachsen. Unter den Bäumen, die die Wiese im mittleren Teil des Bildes auf der rechte Seite begrenzen, stand einst die Kirnitzschschänke

Nachdem ein Grenzübergang über die Hinterdittersbacher Grenzbrücke schon kurz nach dem Ende der DDR (also etwa seit 1991) immer wieder im Gespräch war, wurde er am 28.10.2003 tatsächlich eröffnet. Schon im Sommer 2003 waren dazu Bauarbeiten an der Grenzbrücke im Gange, die Betonblöcke wurden weggeräumt und wenn man verschiedenen Berichten Glauben schenken darf, wurde schon zu dieser Zeit die Benutzung der eigentlich abgesperrten Brücke toleriert, da das Abkommen zu diesem Grenzübergang längst unterzeichnet war.


Quellen:
1) A.Herr, Heimatkreis Tetschen-Bodenbach, Nördlingen 1993
2) J.Schaller, Topographie des Königreiches Böhmen, Fünfter Theil, Leutmeritzer Kreis, Prag 1787
3) F.A.Mussik, Der Markt Schönlinde und dessen eingepfarrte Ortschaften, Prag 1820
4) W.L.Götzinger, Schandau und seine Umgebungen..., Bautzen 1804, Dresden 1812, Neudruck Dresden 1991
5) J.G.Sommer, Das Königreich Böhmen, statistisch-topographisch dargestellt, Erster Band, Leitmeritzer Kreis, Prag 1833
6) diverse Reiseführer
7) K.Lamm, persönliche Mitteilung
8) A.Schiffner, Beschreibung der gesammten sächsisch-böhmischen Schweiz..., Meissen, 1835
9) Die Botenfrau 2/2004, Mitteilungsblatt des Heimatvereins Hinterhermsdorf
10) Sächsische Meilenblätter in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden und im Sachsenatlas
11) N.Belisova, Tulakum Jetrichovicka, Decin, 2014


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letzte Änderung vom 31.10.2014