Der Kerbensteig in der Kirnitzschklamm

Zur Verfügung gestellt von Herrn C. Maaz vom Heimatverein Hinterhermsdorf

Im Sommer dieses Jahres erhielten wir einen Anruf und gleich darauf einen Brief von Herrn Bernd Künstler aus Chemnitz. Dieser hatte bei seinen heimatkundlichen Wanderungen nach alten Karten eine Inschrift in der Kirnitzschklamm entdeckt. Er schickte uns davon Skizzen sowie zwei Fotos und verband dies mit der Bitte, dieses Kulturdenkmal zu erhalten.

Bernd Künstler ist bei seiner Wanderung abseits bekannter Pfade auf den Kerbensteig, einen der ältesten Wanderwege der Hinteren Sächsischen Schweiz gestoßen, der seit nunmehr schon 55 Jahren der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich ist und durch die Aktivitäten der Nationalparkverwaltung bald gänzlich in die Vergessenheit geraten könnte. Das gibt uns Anlass der Männer zu gedenken, die einst die Hintere Sächsische Schweiz für Wanderer erschlossen. Das geschah nämlich schon viele Jahrzehnte vor der Eröffnung der Bootsfahrt auf der Oberen Schleuse.

Die frühesten Wegebaumaßnahmen erfolgten nachweislich vor 190 Jahren. Am 11. Okt. 1811 wurde das vom geheimen Finanzkollegium in Dresden befohlen. Der betreffende Text lautet: "Im übrigen sind die von den Reisenden am meisten besuchten Orte in der unter dem Namen Sächsische Schweiz bekannten Gegend, insoweit es ohne großen Kostenaufwand geschehen kann, in einen derartigen Zustand zu versetzen, daß ganz ohne Gefahr dahin zu gelangen ist und habt ihr über den erforderlichen Aufwand Anschläge einzureichen."

Daraufhin wurden etwa 25 Wanderwege und Aufstiege zu den Raubschlössern ausgebaut, am Kuhstall eine Bewirtschaftung eingerichtet, auf dem Großen Winterberg ein Schutzhaus gebaut und der Pavillon auf dem kleinen Winterberg instand gesetzt.

Auch an der Oberen Schleuse, die damals schon viel besucht wurde und auf der es noch keine Bootsfahrt gab, wurde auf Anregung von Götzinger an den schmalsten Stellen des Felswandweges Geländer angebracht.

In der 1835 von Schiffner herausgebrachten "Beschreibung der sogenannten Sächsischen Schweiz in seiner neuesten Gestalt" lesen wir, dass zum Staudamm der Oberen Schleuse eine schöne bequeme Felsentreppe hinab führt. Daraus erkennen wir, dass es damals hier tüchtige Männer gab, die weiterdachten und den Tourismus in der Hinterhermsdorfer Umgebung zu fördern wussten.

Die bedeutungsvollste Erschließung leistete der Revierforster Voigt. Er ließ 1836 den Königsplatz, die Partie durch den Tunnel Holl, die Rabensteine, die Rotkehle, und die Wolfsschlucht durch Wanderwege zugänglich machen. Das war damals ein wichtiges Ereignis. Besonders der Weg durch die Wolfsschlucht erregte große Aufmerksamkeit und wurde von Künstlern sofort im Bild als "Neue Wolfsschlucht" festgehalten.

Die neue Wolfsschlucht nach der Natur gezeichnet

Am Tunnel Holl hat man damals eine diesbezügliche Inschrift angebracht. Sie wurde über 1 1/2 Jahrhunderte von den Förstern und Mitgliedern der Gebirgsvereine liebevoll gepflegt. Man wollte nicht, dass dieses Ereignis und die Voraussetzungen für den Tourismus in Vergessenheit geraten. Jetzt ist sie gänzlich unleserlich und dem Verfall preisgegeben. Nur im Hauptstaatsarchiv in Dresden gibt es noch eine Abschrift. Die für den hiesigen Tourismus so wichtige Jahreszahl "1836" kann der aufmerksame Wanderer aber immer noch entdecken. Sie ist rechts des Weges zum Königsplatz an dem gespaltenen Block innerhalb eines Rahmen eingeschlagen.

Jahreszahl am Weg zum Königsplatz (nachgezeichnet)

Ebenfalls schon im Jahre 1836 ließ Major von Dieskau, es war ein Angestellter der Königlichen Floßmeisterei, den Kerbensteig in der Kirnitzschklamm ausbauen und zwar nicht wie man annehmen könnte für die Flößerei, sondern für die Wanderer.

Der Kerbensteig in Meinholds Führer von 1910

Der Kerbensteig begann als Abstieg vom jetzigen Wanderweg hinunter zur Kirnitzsch direkt gegenüber dem Roten Floß. Dort stehen noch die gemauerten Pfeiler der ehemaligen Schönlinder Brücke, die vom Gebirgsverein für das Nördlichste Böhmen errichtet und gepflegt wurde.

Der Kerbensteig - Lageplan nach B.Künstler

Der Kerbensteig verlief zuerst etwa 250 m auf sächsischer Seite. Dort ist rechts an der Felswand die Inschrift angebracht, von der uns Herr Künstler ein Foto schickte. Wenig dahinter überquerte der Weg die Kirnitzsch und verlief 350 m auf böhmischer Seite. Wenig oberhalb des Aufstieges in die Wolfsschlucht kam der Weg über eine zweite Brücke auf sächsisches Gebiet zurück. Heute noch ist der Steig durch in den Fels gehauene Stufen und Simse sowie Steinsetzungen deutlich erkennbar. Die beiden kleinen Brücken existieren nicht mehr.

Eingehauene Inschrift an der Felswand am Kerbensteig
Diesen Felsen = Wege
veranstaltete, der H.Maj: v. Dieskau
veranschlagt, d: H. Bau = Cont. Loose
erbaut, d:Floszvorst: Sturm 1836

Die Inschrift besagt, dass auf Veranlassung des herrschaftlichen Major von Dieskau und Planung, bzw. Bereitstellung der Mittel eines herrschaftlichen Bauverantwortlichen Loose der Floßförster Sturm den Felsenweg 1836 bauen ließ.

Wir wollen noch einmal feststellen, dass damals 1836 die Gegend um Hinterhermsdorf mit den genannten Wegen schon touristisch erschlossen war. Wenige Zeit später wurde in Hinterhermsdorf ein moderner Erbgerichtsgasthof errichtet, in dem die Fremden auch übernachten konnten.

1945 kam mit der Grenzschließung zur CSR auch das Aus für den Kerbensteig. Damit verloren wir einen der schönsten Wanderwege. Viele waren der Meinung, dass dies wegen der wenigen Meter übers Böhmische nicht nötig gewesen sei. Nun aber, in Anbetracht der bevorstehenden Aufnahme Tschechiens in die EU, womit dann die Grenze an beliebiger Stelle überschritten werden kann, ist die dauerhaft vorgesehene Sperrung des Kerbensteiges und der Schönlinder Brücke eine unverständliche Maßnahme. Alle Hinweise auf Naturschutz sind an den Haaren herbeigezogen. Noch nie wurden Tierarten, wie etwa die Wasseramsel oder der Eistaucher, durch Touristen in ihren Bestand gefährdet. So etwas uns glaubhaft machen zu wollen, ist der Versuch, uns den Klapperstorch wieder einzureden.

Solche traditionellen Wanderwege und Felszeichnungen sollten als Kulturdenkmale geschützt und erhalten werden. Sie müssen der Öffentlichkeit zugänglich bleiben.

Zum Abschluss wollen wir noch einer interessanten Frage nachgehen. Wie kam der Kerbensteig zu seinen Namen? Viele sagen, wegen der Kerben, die man früher zur Kennzeichnung der Grenze hier angebracht habe, denn ohne Zweifel ist der Name des Zeichengrundes auf Grenzzeichen zurückzuführen.

"Kerbe" ist hier aber bestimmt nicht als Grenzkennzeichen zu verstehen, denn bei einer Grenzbegehung im Jahre 1846 wird im Protokoll noch ausdrücklich festgeschrieben, dass ab Rotkehle bis zur Niedermühle die Kirnitzsch so deutlich die Grenze markiere, dass eine Kennzeichnung nicht nötig sei.

Die Lösung findet sich auf der Karte, die der Sächsische Markscheider Öder 1592 zeichnete. Auf dem Begleittext hat Öder zu den Zeichen den Text "über die Kerbe" vermerkt. Auf der Karte ist das Zeichen so dargestellt. Wer sich die Karte dann genau ansieht, entdeckt direkt an der Kirnitzsch, nämlich dort wo der Kerbensteig beginnt, den Text "In der arsch Kerb". Einige ältere Hinterhermsdorfer, die früher als Flößer tätig waren, bezeichneten in den fünziger Jahren die Stelle noch genauso. Es soll dort eine Felsbildung geben, die diesem Namen entspricht. Und sinniger Weise heißt die der Arschkerbe gegenüberliegende kleine Schlucht auf böhmischer Seite auf der Karte von Rolf Böhm jetzt noch "Böses Loch".

(Wir bedanken uns bei Herrn Bernd Künstler für die Bereitstellung der Skizzen und Fotos)

Christian Maaz


veröffentlicht in: Die Botenfrau, Mitteilungsblatt des Heimatvereins Hinterhermsdorf, Heft 3/2001

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Seite vom 15.6.03